jeanne mammen 1890 - 1976I consciously encountered the work of Berlin artist Jeanne Mammen for the first time in her former studio at Kurfürstendamm 29 during my research for a planned painting exhibition in the Deutsche Bank KunstHalle, which was to be explicitly concerned with female painting positions. I entered a micro-universe full of paintings, sculptures, books, and all sorts of things and beings, found objects from nature, and souvenirs from journeys, where time seemed to have stood still to a certain extent. The artist lived and worked here for over half a century—from 1920 until her death in 1976. This “life-home” houses an artistic oeuvre and the relics of an eventful life, an often interrupted artistic career, with a rare concentration. Mammen, who enjoyed a carefree youth and artistic education in Paris and later in Brussels and had just begun to exhibit her works, was forced to return to her native Berlin by the onset of the First World War. She and her sister Mimi arrived in Berlin in 1915, destitute and without contact to the local avant-garde art scene. Her education enabled her to earn a living by designing UFA film posters and later by making illustrations for fashion and satire magazines, soon making a name for herself as a keen observer and chronicler of life around Berlin Ku’damm. She shaped the image of the new, self-confident woman like no other. She portrayed glamorous contemporaries such as the actress Valeska Gert, revue girls, silent couples and the bourgeoisie, prostitutes and their johns, the infamous nightlife in dance clubs and lesbian bars as well as figures on the fringes of society in Berlin’s “golden twenties” relentlessly as empathetically. In 1930 she had a solo exhibition at the renowned gallery Fritz Gurlitt. After the National Socialists came to power in 1933, she gave up working for the forbidden magazines or magazines that were gradually forced into line, and withdrew in a kind of “inner migration” in her studio home. This consisted of a multi-functional studio space with a large north-facing window, a bedroom and a toilet halfway up the stairs outside the apartment—there was no kitchen or bathroom, no hot water. There she continued to work in secret, often under the most difficult conditions—existential poverty, cold, the destruction of the nights of bombing, which also hit the studio hard. During this period, her previously realistic style changed radically and explicitly turned towards what the Nazis persecuted as “degenerate art.” In the summer of 1945, Mammen takes part in the group exhibition Nach 12 Jahren—Antifaschistische Maler und Bildhauer stellen aus—Kunstschau Sommer 1945 (After 12 Years—Antifascist Painters and Sculptors Exhibit— Summer 1945 Art Show) organized by her artist friend Hans Uhlmann in Berlin-Lichterfelde. In 1947, the paintings and drawings she created secretly in the 1930s are shown in a solo exhibition at the gallery Gerd Rosen, and in 1949 she collaborates with young artists, musicians and poets (including Johannes Hübner and Lothar Klünner, with whom she formed a lifelong friendship) in the anti-capitalist artist cabaret “Die Badewanne” (The Bathtub), for which she designs several stage sets. After 1945 her work became increasingly abstract, she began to incorporate elements of trivial culture into her compositions playfully, such as decorative borders, parcel cords and multicolored, glittering foil paper from candy and chocolate wrappers. Virtually on her own, Mammen experimentally adopted all of the modernist styles—from symbolism and social realism to cubism, surrealism, abstract ex- and impressionism, and “lyrical abstraction”—as well as techniques such as collage and assemblage, while finding her very own language. This is permeated by a quiet, anarchistic humor and a penchant for the magical and the absurd. The beings that populate the studio can also be found in the flickering chromatic fields of her paintings. She was highly skeptical about the late recognition of her work with a first retrospective in 1975, one year before her death, at the Neuer Berliner Kunstverein. It is above all Mammen’s uncorruptible, resistant attitude that appeals to a younger generation of artists today—such as the painters Antje Majewski, Katrin Plavčak, and Giovanna Sarti, who enthusiastically engaged in a dialogue with her work in the aforementioned exhibition in 2013. Eva Scharrer Sources: Jeanne Mammen. Paris – Bruxelles – Berlin Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V., Berlin (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit dem Frankreich Zentrum, Freie Universität Berlin, Deutscher Kunstverlag, 2016 Jeanne Mammen. Die Beobachterin. Retrospektive 1910 bis 1975. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Berlinischen Galerie Herausgegeben von Thomas Köhler und Annelie Lütgens. Hirmer Verlag 2017 Alle Werke von Jeanne Mammen sind urheberrechtlich geschützt. Die Urheberrechte werden von der VG Bild-Kunst Bonn verwaltet. Scroll down for German version |
JEANNE MAMMEN 1890 - 1976 Dem Werk der Berliner Künstlerin Jeanne Mammen begegnete ich erstmals bewusst in ihrem ehemaligen Wohnatelier am Kurfürstendamm 29 während der Recherche zu einer geplanten Malereiausstellung in der Deutschen Bank KunstHalle, in der es explizit um weibliche Malereipositionen gehen sollte. Ich betrat ein Mikrouniversum voller Bilder, Skulpturen, Bücher und allen möglichen Dingen und Wesen, Fundstücken aus der Natur und Mitbringsel von Reisen, in dem die Zeit ein Stück weit stehengeblieben zu sein schien. Über ein halbes Jahrhundert – von 1920 bis zu ihrem Tod 1976 – hatte die Künstlerin hier gelebt und gearbeitet. In diesem „Lebensgehäuse“ verbinden sich in selten so gesehener Konzentration ein künstlerisches Werk und die Überbleibsel eines bewegten Lebens, einer immer wieder von Zäsuren unterbrochenen Künstlerinnenkarriere. Mammen, die in Paris und später in Brüssel eine unbeschwerte Jungend und künstlerische Ausbildung genossen und gerade begonnen hatte, ihre Arbeiten auszustellen, wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Rückkehr in ihre Geburtsstadt Berlin gezwungen, wo sie 1915 zusammen mit ihrer Schwester Mimi mittellos und ohne Kontakte zur Berliner Kunstszene der Avantgarde ankam. Ihre Ausbildung ermöglichte es ihr, sich durch Entwürfe für Ufa-Filmplakate und später mit Illustrationen für Mode- und Satiremagazine einen Unterhalt zu verdienen, womit sie sich als scharfe Beobachterin und Chronistin des Lebens um den Berliner Ku’damm bald einen Namen machte. Wie kaum eine Andere prägte sie das Bild des neuen Typus der selbstbewussten Frau. Sie portraitierte glamouröse Zeitgenossen wie die Schauspielerin Valeska Gert, Revuegirls, verstummte Paare und Spießbürger, Nutten und ihre Freier, das verruchte Nachtleben in den Tanz- und Lesbenbars sowie die Figuren am Rande der Gesellschaft im Berlin der „goldenen Zwanziger Jahre“ ebenso schonungslos wie einfühlend. 1930 hat sie eine Einzelausstellung in der renommierten Galerie Fritz Gurlitt. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verzichtete sie auf ihr Einkommen durch die Arbeit für die verbotenen oder nach und nach gleichgeschalteten Magazine und zog sich in einer Art „inneren Migration“ in ihrem Wohnatelier zurück. Dies bestand aus dem multifunktionalen Atelierraum mit großem Nordfenster, einem Schlafzimmer und einer Außentoilette auf halber Treppe – Küche oder Badezimmer gab es nicht, auch kein Warmwasser. Dort arbeitete sie unter oft schwersten Bedingungen – existenzielle Armut, Kälte, die Zerstörung der Bombennächte, die auch das Atelier schwer traf – im Verborgenen weiter, wobei sich ihr bis dahin realistischer Stil radikal änderte und sich explizit dem zuwandte, was von den Nazis als „entartet“ verfolgt wurde. Bereits im Sommer 1945 nimmt Mammen an der von dem befreundeten Künstler Hans Uhlmann in Berlin-Lichterfelde organisierten Gruppenausstellung "Nach 12 Jahren – Antifaschistische Maler und Bildhauer stellen aus – Kunstschau Sommer 1945" teil. 1947 werden ihre in den 1930er Jahren im verborgenen geschaffenen Bilder und Zeichnungen in einer Einzelausstellung in der Galerie Gerd Rosen gezeigt, und 1949 arbeitet sie zusammen mit jungen Künstlern, Musikern und Dichtern (darunter Johannes Hübner und Lothar Klünner, mit denen sie eine langjährige Freundschaft verband) in dem antikapitalistischen Künstlerkabarett „Die Badewanne“ mit, wofür sie einige Bühnenbilder entwirft. Nach 1945 wurde ihr Werk zunehmend abstrakt, spielerisch beginnt sie Elemente der Trivialkultur, etwa Zierborten, Paketschnüre und bunt glitzerndes Stanniolpapier von Bonbon- und Pralinenverpackungen in ihre Kompositionen einzuarbeiten. Quasi im Alleingang hat Mammen sich sämtliche Stilrichtungen der Moderne – von Symbolismus über einen sozialkritischen Realismus zu Kubismus, Surrealismus, abstraktem Ex- und Impressionismus hin zu einer „lyrischen Abstraktion“ – sowie Techniken wie Collage und Assemblage experimentell angeeignet, dabei aber eine ganz eigene Sprache gefunden. Diese ist durchdrungen von einem leisen, anarchistischen Humor und einem Faible für das Magische und Absurde. Den Wesen, die das Atelier bevölkern, begegnet man auch in den flimmernden Farbräumen ihrer Bilder wieder. Der späten Anerkennung ihres Werks durch eine erste Retrospektive, die 1975, ein Jahr vor ihrem Tod im Neuen Berliner Kunstverein stattfand, begegnete sie höchst skeptisch. Es ist vor allem die unkorrumpierbare, widerständige Haltung Mammens, die gerade heute wieder eine jüngere Generation von Künstlerinnen anspricht – etwa die Malerinnen Antje Majewski, Katrin Plavčak und Giovanna Sarti, die sich 2013 in oben erwähnter Ausstellung enthusiastisch auf einen Dialog mit ihrem Werk einließen. Eva Scharrer Quellen: Jeanne Mammen. Paris – Bruxelles – Berlin Förderverein der Jeanne-Mammen-Stiftung e.V., Berlin (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit dem Frankreich Zentrum, Freie Universität Berlin, 2016 Jeanne Mammen. Die Beobachterin. Retrospektive 1910 bis 1975. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Berlinischen Galerie Herausgegeben von Thomas Köhler und Annelie Lütgens. Hirmer Verlag 2017 Alle Werke von Jeanne Mammen sind urheberrechtlich geschützt. Die Urheberrechte werden von der VG Bild-Kunst Bonn verwaltet.
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